Der Aktionskreis Halle verabschiedet sich nach 50 Jahren – aber wer ist das eigentlich?
Der Aktionskreis Halle (AKH) wurde 1970 von Mitgliedern der halleschen Studentengemeinde, des Akademikerkreises und einem großen Teil der Pfarrer des damaligen Kommissariats Magdeburg (inzwischen ökumenisch und landesweit vernetzt) gegründet.
Äußerer Anlass war die Absetzung des Weihbischofs von Magdeburg. Da das II. Vatikanische Konzil gerade verabschiedet war, erwartete man ein Mitspracherecht bei der Neuernennung. Das wurde zwar verweigert, doch aus der Aktion wurde eine feste Einrichtung. Die sah es weiterhin als ihre Aufgabe, kirchliche, gesellschaftliche und politische Vorgänge mit Kritik, unabhängiger Meinungsbildung und eigenen Stellungnahmen zu begleiten. Aber ihr Hauptanliegen war die Rezeption des II. Vatikanischen Konzils für die Kirche in der DDR.
Allerdings war und blieb sie die einzige kritisch nachfragende Gruppierung dieser Art in den heutigen neuen Bundesländern.
Nach nunmehr 50 Jahren Engagement fand die Abschlusstagung (Corona bedingt um ein reichliches Jahr verschoben) im Juli dieses Jahres in der langjährigen Tagungsheimat des AKH, dem Benediktinerkloster Huysburg statt; Gastredner waren Bischof Gerhard Feige und Prof. Josef Pilvousek. Beide warben in lebhaften Diskussionsrunden dafür, den Abschied nicht endgültig zu machen, und so kam man überein, sich als „Freundeskreis AKH“ weiterhin mit anstehenden Neuausrichtungen zu befassen
Der Weg des AKH (von 1970 bis 1990) war allerdings gekennzeichnet von kirchlicher Ausgrenzung und staatlicher Repression. Katholische Kirche und DDR-Staat sahen in der Existenz des AKH eine Missachtung des Grundsatzes der politischen Abstinenz und eine Gefährdung guter Staat-Kirche-Beziehungen. Eine „unheilige Allianz“ zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen zum Zweck der Disziplinierung des AKH ließ diesen schließlich zwischen alle Stühle geraten.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) betrachtete die Tätigkeit des AKH als „eine aktive politische Diversion“ gegen die DDR. Der Magdeburger Bischof Johannes Braun (1970 – 1990) bestritt, dass der AKH eine kirchliche Gruppe sei, und verweigerte jedes Gespräch mit ihm.
Damit standen der AKH, seine Aktivitäten und Mitarbeiter de facto außerhalb der DDR-Legalität.
Das Ende der DDR 1990 beendete zwar die Praxis der kirchlichen Ausgrenzung. Nicht beendet war dagegen die Stigmatisierung des AKH als „Nestbeschmutzer“ und als „unkirchlich“, die in Teilen der katholischen Kirche in den neuen Bundesländern bis heute nachwirkt.
Das ist auch ein Grund dafür, dass der AKH nur Insidern und Suchenden bekannt ist, die die Strukturmängel des kirchlichen Apparates kritisierten und Fragen an so genannte „Glaubenswahrheiten“ hatten; lange bevor der heutige „Synodale Weg“ diese drängenden Themen endlich auch aufgriff.
Erst 2010, zum 40-jährigen Bestehen des AKH, bedauerte der Magdeburger Bischof Feige in einem Grußschreiben, dass die Mitglieder des AKH nicht nur unter der kirchlichen Ausgrenzung, sondern deshalb auch unter staatlicher Repression gelitten haben.
Er wünschte ausdrücklich: „Bringen sie ihre Farbe konstruktiv in diesen Organismus (den lebendigen Leib Christi) ein, und bleiben wir in einem geschwisterlichen Dialog verbunden“.
Und was bleibt?
nach 20 Jahren widerständigem Engagement in DDR-Zeiten und weiteren 30 Jahren, in denen der AKH Mühe hatte, im vereinten Deutschland als eine Stimme unter vielen gehört zu werden?
Er war bis zuletzt der „Papiertiger, der den Löwen kitzelt“. Auch schwer auszumachen, wer sich als aktives Mitglied, wer als Freund und Sympathisant, wer als Vordenker, und wer sich nur als Briefempfänger zugehörig fühlte.
Aktionen waren immer vor allem Briefsendungen; zu DDR-Zeiten an ca. 500, zuletzt noch an ca. 200 Adressaten (in den letzten 30 Jahren 66 an der Zahl), Tagungen (anfangs 4, später 1 bis 2 im Jahr) und Wortmeldungen zu Ereignissen und Verlautbarungen (viele) bei denen der AKH es als notwendig erachtete, gelegen oder ungelegen seine Meinung dazu zu äußern.
Die Tagungen waren bis zuletzt Treffen im Sinne von „Freunde haben wir uns genannt“. Auf ihnen wurden, gemeinsam mit namhaften Referenten, Möglichkeiten einer lebensdienlicheren gesellschaftlichen Veränderung und eine Theologie der Reich-Gottes-Verkündigung bedacht, an den Samstagabenden fröhliche Gemeinschaft mit Lied und Witz gefeiert und bei den sonntäglichen Agapefeiern die Erfahrung gemacht: „Er ist mitten unter uns“.
Was bleibt, sind vor allem wir, als Personen, die viel gelernt und manches erlitten haben; vor allem aber im Glauben gestärkt sind.
Der ist allerdings nicht mehr der Glaube von vor 50 Jahren. Und das dürfte nicht nur unserem Älterwerden geschuldet sein.
Das II. Vatikanische Konzil hat Türen und Fenster in unserer Kirche aufgestoßen, die sich trotz allen konservativen Eifers nicht wieder vollständig schließen ließen.
Wichtiger als die so hoch gehängte Christus-Verehrung wurde uns der Versuch, einer sehr konkreten und direkten Nachfolge des Jesus von Nazareth. Es geht dabei nicht um ein Entweder-Oder, sondern um eine Verschiebung der Perspektive.
Immer wieder stellt sich die Frage, wie würde Jesus in unserer konkreten Situation reagieren? Er war ohne Macht, aber er war sehr wachsam, was die Sorgen und Nöte der kleinen Leute angeht. Ihm war wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Mächtigen Lasten zusammenbinden (Mt.23,4) die die Kleinen nicht mehr tragen können, materiell wie moralisch.
Gerade darum wird unsere Grundsatzerklärung von 1970 wichtig bleiben;
Demokratisierung, Humanisierung in Kirche und Gesellschaft und Neuinterpretation des Glaubens sind eine dauernde Aufgabe – eben „semper reformanda“ in Gesellschaft und Kirche.
Wer heute die Rundbriefe, Memoranden, Stellungnahmen und Verlautbarungen des AKH liest, merkt, dass diese nichts an Aktualität eingebüßt haben. Es ist bedauerlich, dass sie im kirchlichen Raum nur geringe Beachtung gefunden haben.
Wenn Kardinal Marx in seiner Rücktrittserklärung vom „toten Punkt“ und von einer unverzichtbaren erneuerten Gestalt der Kirche und einer neuen Weise, heute den Glauben leben und zu verkünden, spricht, dann können die Schriften des AKH hierzu gute Denkanstöße geben.
Buch: Aktionskreis Halle
Haben wir Sie neugierig gemacht? Sie können Genaueres in einer Broschüre nachlesen: „50 Jahre Aktionskreis Halle / Eine kritische Stimme im Wandel der Systeme“, die kostenlos im Pfarrbüro erhältlich ist.
Wigbert Albrecht und Monika Doberschütz (Sprecher des AKH)